Über den Wolken zur Wahrheit

 (Ausschnitt aus Teil 16 /Band Drei "Folge der Harpyie bis zum Feuer im Sumpf")

Kapitel eins

 

Als Santino ins Hotelzimmer zurückgekommen war, erwartete ihn eine Überraschung, die Kette mit dem magischen Auge lag auf dem Tisch mit einer handgeschriebenen Nachricht: „Patrick hatte Glück und konnte die Kette der Frau abnehmen, die sie dir gestohlen hatte. Ich erzähle dir alles, wenn wir uns wiedersehen. Bitte trage die Kette erst, wenn ich dir Details über ihre Kraft erzählt habe. Ich wünsche dir Glück. Ich vermisse dich - in Liebe – Kati“.

Es war unglaublich, dass sein Liebesbeweis wieder da war – wie war das möglich und wie hatte Patrick es geschafft? Er konnte es kaum erwarten, bis sie ihm alles erzählen würde. Er war am Morgen mit Danilo am Rande des Waldes gewesen und hatte ihm geholfen, seine Angst zu überwinden. Er hatte das Gefühl, dass er Danilo helfen konnte, aber mit seinem eigenen Anliegen nicht weitergekommen war. Der Satz auf dem Zettel ‚bitte trage die Kette erst, wenn ich dir Details über ihre Kraft erzählt habe‘ ging ihm nicht aus dem Kopf.

Er beschloss, ins Restaurant zu gehen und an einem neutralen Ort die Ereignisse des Tages zu verarbeiten.

Als er das Restaurant betrat, sah er die Prostituierte an einem Tisch sitzen. Er erschrak und wollte im ersten Moment das Restaurant wieder verlassen, doch dann bemerkte er, dass sie ihn gesehen hatte und direkt auf ihn zukam: „Du machst mir Angst, bitte lass‘ mich in Ruhe“. Sie holte Geld aus ihrer Tasche und gab es ihm mit den Worten: „Hier hast du dein Geld zurück. Die Kette hat dein Boss mir abgenommen. Ich bitte dich, verfolge mich nicht. Der Russe war furchteinflößend, er hat gesagt, die beobachten mich, er kennt mein Gesicht und er findet mich überall. Jetzt hast du die Kette und das Geld. Bitte lass‘ mich in Ruhe, wir haben uns nie kennengelernt.“ Dann rannte sie aus dem Restaurant.

Santino steckte die Scheine in seine Brieftasche und suchte sich einen Platz im Restaurant. Nach diesem Erlebnis konnte er sich vorstellen, wie Patrick es geschafft hatte, der Frau die Kette abzunehmen. Er grinste in sich hinein und sagte zu sich: „Das ist beruhigend – wir haben uns nie kennengelernt und mein Geld habe ich auch wieder. Daraufhin kann ich mir jetzt entspannt etwas bestellen.“

Als er gegessen hatte und sich zum Nachtisch einen Kaffee bestellt hatte, erinnerte er sich an ein Gespräch mit Kati, als sie ihn gefragt hatte, auf welche Weise er seine schamanischen Fähigkeiten entdeckt hätte. Er hatte das Gefühl, dass es für ihn wichtig war, dieses Gespräch noch einmal zu durchleben: Er hatte geantwortet: „Durch verschlungene Wege des Schicksals, die mir einen komplexen Weg aufgezeigt hatten.“

Er erlebte das Gespräch im Rückblick und es fühlte sich zugleich wie eine bildhafte Reise in die Vergangenheit an: „Als kleiner Junge sah ich eine Libelle, die mich faszinierte. Ich hatte das Gefühl, dass es Glück bringen würde, wenn mir eine Libelle über den Weg geflogen kam. Einige Zeit später sah ich einen Hubschrauber und fragte meinen Vater, was denn das für eine große Libelle sei, die hoch am Himmel flog und laute Geräusche machte.

Er sagte, es sei ein Rettungshubschrauber, der verletzte Menschen ins Krankenhaus fliegen würde.

Ich erinnere einen Traum, in dem ein helles Licht mich umhüllte und eine Stimme sagte: „In dir wohnt der Meister der Heilung, folge dem Symbol der Libelle“. Ich wusste diese Worte noch und fragte meinen Vater, was sie mir sagen wollten. Er antwortete, dass es mein inneres Wegbegleitungssymbol sei, weil Libellen mein Herz berühren.

Ich folgte der großen Libelle und wurde Rettungspilot.“

Er sah Katis erstauntes Gesicht vor seinem geistigen Auge, nachdem er ihr diese Zusammenhänge erzählt hatte und auf seiner Erinnerungsreise hörte er sie sagen: „Das hattest du mir noch nicht erzählt, dass dein erlernter Beruf Hubschrauberpilot ist. Wie war es weitergegangen?“ Er war in diese Erinnerungen versunken und fühlte sich zurückversetzt in die Traurigkeit von damals und hörte sich dabei zu Kati sagen: „Das hatte ich nicht erwähnt, weil es den Rettungspiloten schon lange nicht mehr gibt. Vor langer Zeit wurden mein Kollege und ich zu einem Unfallort gerufen. Lebensgefährlich verletzt war meine spätere Liebe Ute aus Deutschland. Wir flogen sie ins Krankenhaus. Bevor sie ihr Bewusstsein verloren hatte, sah sie mir in die Augen und flüsterte mit letzter Kraft: „Du bist mein Retter, mein Engel, wir sehen uns wieder“. In diesem Moment wusste ich, dass ich mich in sie verliebt hatte. Ich konnte nicht akzeptieren, dass es keine Hoffnung für sie gab. Ich hatte das Gefühl, dass ich alles in meiner Macht Stehende tun musste, um sie zu retten. Ich hatte Urlaub genommen, um Stunden an ihrem Bett zu verbringen. Mein Vater lebte nicht mehr, aber ich hörte seine Worte vor meinem geistigen Ohr, die er am Totenbett zu mir gesagt hatte: „Santino Great Eagle, mein Erbe, Sohn des Dyami, gehe den Weg des Schamanen.“ Ich erwiderte, dass ich Rettungspilot sei und mein Weg anders sei als seiner. Er konnte mir nicht mehr antworten, er war in die andere Welt hinübergegangen. In Abständen hörte ich die Worte meines Vaters an Utes Krankenbett. Dann kam der Moment, an dem man mir sagte, es wäre zu spät und ich sollte mich von ihr verabschieden, innerhalb der nächsten Stunden würde man ihre Maschinen abstellen. Das war der schlimmste Moment meines Lebens. Ich stand unter Schock, konnte nicht klar denken und saß da, hielt ihre Hand und flüsterte ihr zu: „Du hast gesagt, wir sehen uns wieder, jetzt ist es zu spät.“ Die Traurigkeit des erzwungenen Abschieds hatte alles um mich herum sinnentleert, es war als wenn mein Herz stehengeblieben war. Dann hörte ich eine Stimme die sagte: „Santino Great Eagle, Sohn des Dyami, entfessele den Schamanen in dir“

Ich hatte diese Worte gehört, doch sie erreichten mich nicht ganz bewusst, denn ich konzentrierte mich auf den Kampf mit meiner Verzweiflung. Ich hielt ihre Hand und dachte: „Wenn sie geht, bleibe ich mit gebrochenem Herzen zurück und dann wird es dunkel um mich sein.“ Ich saß einfach da und hatte das Gefühl, die Zeit war stehen geblieben, ich war in meinem Gefühl woanders. Irgendwann öffnete sie ihre Augen, sah mich an und sagte: „Mein Retter, mein Engel, ich habe gewusst, dass wir uns wiedersehen.“

Als die Ärzte ins Zimmer kamen, um ihre Maschinen abzustellen, saß sie Hand in Hand mit mir in ihrem Bett und wir sprachen miteinander, ich hatte meine Fassung zurückerlangt. Das war ein Wunder, das sich niemand erklären konnte. Ich wurde befragt, was geschehen war und ich sagte, dass ich es nicht wüsste, denn ich hatte nur ihre Hand gehalten, sonst war da nichts.

Einige Tage später entdeckte ich folgende Schlagzeile in der Zeitung: „Rettungspilot wurde Zeuge eines göttlichen Wunders; er konnte sehen, wie der Geist Gottes eine Koma-Patientin heilte.“

Als mich mein Kollege danach gefragt hatte, sagte ich, dass es nicht stimmen würde, denn ich hatte weder etwas gehört noch gesehen. Wenn es so gewesen sein sollte, dass ein Geist anwesend war, dann war es der Geist von Dyami Great Eagle. Daraufhin hatte mein Kollege gesagt, dass er es belächeln würde, dass ich an Naturgeister und heilige Tiere glauben würde, aber ein Wunder Gottes zu verleugnen, das wäre ein starkes Stück. Ich hatte mich mit meiner Aussage an meinem Arbeitsplatz unbeliebt gemacht und in dem Zusammenhang war es mir leichtgefallen, meine Zelte in New Orleans abzubrechen, um mit Ute in Deutschland ein neues Leben zu beginnen. Das war der Moment, in dem ich mich mit der schamanischen Heilpraxis selbständig gemacht hatte.“

Weit entrückt hatte er gesehen, gefühlt, erlebt, wie er Kati erzählt hatte, auf welche Weise er Ute kennengelernt hatte, dabei durchlebte er diese Station seiner Vergangenheit. Es war der Weg des Schicksals, der dafür gesorgt hatte, dass er seine schamanischen Fähigkeiten entwickelt hatte. Er erinnerte, dass es ein langer Weg gewesen war und dass er ohne das Geld, das er aus der Vermietung seines Elternhauses eingenommen hatte, kein Startkapital für die Praxis gehabt hätte. Außerdem hatte seine Liebe zu Ute ihm Kraft für einen Neuanfang gegeben.

Plötzlich ging ein Ruck durch ihn hindurch und er sah sein Elternhaus vor seinen Augen. Er erkannte, dass seine Erinnerung diese Reise in die Vergangenheit mit ihm unternommen hatte, weil er auf den Traum von letzter Nacht mit seinem Elternhaus zurückkommen sollte. Er hatte geträumt, dass er noch einmal dort war und eine Schachtel im Keller gefunden hatte, die den Abschiedsbrief seiner Mutter enthalten hatte. Das war ein Wink des Schicksals, denn er sollte noch einmal dorthin fliegen, um ihn zu finden. In diesem Moment kam er zu der Überzeugung, dass er so schnell wie möglich einen Flug nach New Orleans buchen sollte. Kati war bei Patrick gut aufgehoben, um sie musste er sich keine Gedanken machen. Außerdem würde er nur hin- und gleich wieder zurückfliegen, sobald er den Brief gefunden hatte. Er war davon überzeugt, dass sein Abschiedsritual am Rande des Waldes gelingen würde, wenn er vorher ihren Brief gelesen hätte.


Kapitel zwei

 

Santino saß im Flugzeug nach New Orleans, er hatte das Glück gehabt, kurzfristig einen Flug zu bekommen. Er war nervös, denn er war einem Traum gefolgt. Er wusste zwar, dass Träume Botschaften aus dem Unbewussten sind, aber manchmal konnte sich auch ein Wunsch dahinter verbergen. Er war hin- und hergerissen zwischen Wunsch und Befürchtung, denn wenn er vergeblich nach dem Brief suchen würde, müsste er mit leeren Händen nach Rio zurückfliegen. Das war ein unangenehmer Gedanke. Er hatte Kati angerufen und sie hatten sich telefonisch voneinander verabschiedet. Kati hatte Angst, wenn er allein in einem Flugzeug sitzen würde, weil sie an die Warnung von Torsten denken musste. Er konnte sie beruhigen und hatte ihr gesagt, dass er kein schlechtes Gefühl hatte und dass Torsten dazu neigte, sich in manche Gedankengänge hineinzusteigern.

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Nach einem langen Flug erreichte Santino sein Elternhaus. Jedes Mal, wenn er hierherkam, wurden Erinnerungen geweckt. Dieses Mal hatte er das Gefühl, dass es sich intensiver als sonst anfühlte und er war froh, dass er einen Rückflug gebucht hatte, der noch am selben Tag zurück nach Rio ging, denn er wollte es so schnell wie möglich hinter sich haben. Er spürte, wie seine Kniee weich wurden und wie es ihm schwerfiel, die Treppe, die in den Keller führte, hinunterzugehen.

Er erreichte den Raum, von dem er geträumt hatte. Als erstes durchsuchte er einen Schrank und durchwühlte die Kartons, die sich darin befanden. Es waren Erinnerungen an seinen Vater und Dinge, die er nicht über das Herz brachte, wegzuwerfen. Dann fiel sein Blick auf einen eingestaubten Kasten. Er hatte ein merkwürdiges Gefühl und öffnete die Schachtel; es fielen ihm einige Briefe und Bilder entgegen. Sein Blick wurde von einem Brief angezogen, der in Rio de Janeiro abgestempelt war und an die Adresse dieses Hauses ging. Er wusste sofort, dass dies der gesuchte Brief seiner Mutter war. Er drückte den Umschlag an sein Herz und sagte leise: „Danke, Kräfte des Universums, danke an alle, die mich hierhergeführt haben“. Nachdem er die anderen Briefe noch einmal sorgfältig durchgesehen hatte und sich davon überzeugt hatte, dass nur dieser eine Brief in Rio abgestempelt war, konnte es sich nur um den von ihm gesuchten Brief handeln. Er merkte, wie seine anfängliche Erleichterung in Nervosität umgeschlagen war. Er geriet in einen emotionalen Strudel und sein Herz begann schneller zu schlagen; Angstschweiß brach aus ihm hervor, denn ihm wurde bewusst, dass dieser Inhalt ihn an seine Grenze bringen könnte. Er steckte ihn in seine Tasche und dachte: „Ich habe nicht die Kraft dazu, ihn ohne Katis Beisein zu lesen.“

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Santino hatte sich im Flugzeug zurück nach Rio zu seinem Platz begeben; er hatte seine Umgebung kaum bemerkt, weil er noch im Wirbelsturm seiner Gefühle gefangen war. Er sagte sich: „Jetzt habe ich gefunden, was ich gesucht hatte und nun habe ich Angst vor der Wahrheit. Ich frage mich, warum ich das Gefühl habe, nicht damit klarzukommen, wenn ich den Inhalt allein lese.“

Er blickte aus dem Fenster in die Wolken und versuchte, sich zu beruhigen. Er nahm bewusst wahr, dass der Platz neben ihm frei geblieben war und dass auf diesem Flug noch mehr freie Plätze vorhanden waren. Es gab nicht allzu viele Fluggäste, die um diese Uhrzeit von New Orleans nach Rio unterwegs waren. Seine Erinnerung ging zurück an den Flug von Deutschland nach Rio, als Kati neben ihm gesessen hatte. Es tat ihm leid, dass er sich ihr gegenüber so abweisend verhalten hatte.

Nachdem er mit sich gekämpft hatte und sich dem Inhalt des Briefes stellen wollte, nahm er den Umschlag aus der Tasche und griff hinein – zu seinem Erschrecken war der Umschlag leer. Er konnte nicht glauben, dass der Brief verschwunden war. Wie war das möglich? Sein Vater war es, nach dessen Wissen dieser Brief existierte. Santino war verwirrt, denn er fand keine Erklärung dafür, dass dieser Umschlag leer war. Er wusste jetzt, dass es diesen Brief gegeben hatte, denn es handelte sich um einen Umschlag, der offensichtlich unter einem Dampfbad sorgfältig geöffnet worden war und danach wieder zugeklebt worden war. Er versuchte sich hineinzuversetzen, wie sein Vater sich gefühlt haben musste, als er diesen Umschlag geöffnet hatte. Er muss unter Schock gestanden haben, nachdem er den Abschiedsbrief seiner geliebten Frau über ihren geplanten Selbstmord gelesen hatte. Dann machte Santino einen Gedankensprung. Ihm wurde bewusst, dass es keinen Beweis gab, was mit seiner Mutter in Rio passiert war. Niemand konnte wissen, was in diesem Brief gestanden hatte. Sein Vater hatte ihm erzählt, dass seine Mutter sich in Rio das Leben genommen hatte und dass sie es in einem Abschiedsbrief geschrieben hatte, doch es gab nichts, das dies beweisen könnte. Seine Befürchtung war eingetreten; er flog mit leeren Händen nach Rio zurück. Er wusste weniger als jemals zuvor, denn dieses Erlebnis ließ Zweifel aufkommen, ob es der Wahrheit entsprach, dass seine Mutter freiwillig aus diesem Leben gegangen war. Sein Herz klopfte, ihm wurde schwindlig und Panik hatte ihn gepackt. Die Vorstellung, dass es einen Mörder seiner Mutter geben könnte, war in diesem Moment unerträglich für ihn.

Er saß wie versteinert auf seinem Fensterplatz und hatte Schwierigkeiten, mit dieser Situation umzugehen. Nach einer Weile brach er in sich zusammen und weinte. Er war außer sich vor Angst. Eine der Stewardessen hatte seinen Zustand bemerkt und ihm ein Glas Wasser gereicht. Langsam konnte er beginnen, seine Gedanken und Gefühle neu zu ordnen.

Er war bei dem Gedanken hängen geblieben, dass es nicht zu seiner Mutter passte, dass sie sich das Leben genommen haben könnte, denn sie war nach Rio geflogen, um Frieden zu finden.

Nachdem er sich wieder beruhigt hatte, war er entschlossen, die restlichen Stunden des langen Fluges nach Rio für sich zu nutzen und über den Wolken die Nähe seiner geistigen Führer und seines Vaters zu suchen. Wenn er sich zentrierte und bereit war, Angst und Schmerz loszulassen, wenn er sich der Wahrheit stellen würde, egal wie erschütternd sie sein möge, dann könnte es vielleicht gelingen.

Nachdem er sich konzentriert hatte, und es ihm gelungen war, die anderen Passagiere auszublenden und mit sich in Einklang zu gelangen, sah er seinen Vater und seine Mutter Hand in Hand in einem blauen Licht. Er hatte durch die Rückkehr in seine Mitte den lang ersehnten Kontakt herstellen können und sah das erste Mal seine Mutter auf der anderen Seite. Sie lächelte ihn an und signalisierte ihm, dass sie in Rio in schicksalhafte Netzwerke verstrickt worden war und jetzt in Frieden war. Er sah die Stelle am Rande des Waldes in einer Vision und hörte aus einer Entfernung ihre verzerrte Stimme: „Der Geist des Waldes ist rätselhaft in euren Augen, doch schaue durch den Schleier hindurch und finde Frieden. Lasse mich gehen und finde deinen Weg, Santino Great Eagle, Meister der Heilkunst. Deine Mission ist Heilung in der Welt der Lebenden und Frieden mit der anderen Seite.“

Er fühlte, wie Freude und Erleichterung sein Herz erreichten. Es war zu schön um wahr zu sein, dass er sie gesehen hatte. Es war ein schönes und friedliches Bild, das wie ein goldener Fluss durch ihn strömte und seine Kräfte kehrten langsam zurück. Er fühlte, dass der Schleier sich lichtete und er lehnte sich zufrieden zurück, als er auf einen Schlag eine dunkle Wolke auf sich zukommen sah. Er schreckte zurück und fühlte, dass eine Kraft, die außer ihm niemand wahrnehmen konnte, ihn aufzusaugen versuchte. Es war die Kraft einer anderen Ebene und instinktiv fühlte er, dass es die Ebene war, auf der er sich an dem Tag befunden hatte, als er am Waldrand eine Erinnerungslücke hatte. Die Wolke spaltete sich und es kam ein schwarzer Skorpion hervorgekrochen, der direkt auf ihn zukam. Panik ergriff ihn und er versuchte zu schreien, doch seine Stimme versagte. Er sah, wie die Stewardess auf ihn zukam und ihn fragte, ob es ihm wieder besser gehen würde. Er konnte aus dieser Ebene nicht antworten. Sie lächelte ihn an und ging weiter. Währenddessen hatten die Scheren des Skorpions ihn am Hals gepackt und versuchten, ihn zu erwürgen. Er bekam keine Luft mehr und schwebte in Todesangst. Aus unerklärlichen Gründen musste die Stewardess etwas mitbekommen haben, denn sie stand vor ihm und reichte ihm ein Glas Wasser. Der Moment, in dem er das Glas entgegengenommen hatte, holte ihn aus der Ebene heraus und er war wieder in der Realität, jedoch nur zu Hälfte. Der Skorpion war fast so groß wie ein Mensch und war noch da, denn er konnte sehen, wie er die Stewardess angreifen wollte. Doch sie ging durch ihn hindurch und beachtete ihn nicht. Er sagte in Gedanken: „Du bist nicht real“ und trank einen Schluck Wasser. In diesem Augenblick war der Skorpion verschwunden. Er musste an Torsten denken und seine Warnung. Torsten hatte die Fähigkeit der Voraussicht, denn er hatte den Skorpion gesehen und hatte ihn davor gewarnt, ohne Begleitung in ein Flugzeug zu steigen. Er hatte Torstens Warnung ignoriert, weil sie seine Vorstellungskraft überstiegen hatte.


 

Kapitel drei

 

Torsten konnte nicht einschlafen, denn Kati hatte ihm geschrieben, dass Santino allein nach New Orleans geflogen war. Sie hatte seinen Entschluss nachvollziehen können und hatte ihn beruhigt. Sie hatte seit dem Erlebnis im Flugzeug die Überzeugung, dass es keinen Skorpion gab, der eine Bedrohung darstellen könnte, weil er symbolisch gemeint war.

Er erinnerte sich an seinen Traum und bei dieser Erinnerung zog sich ihm der Magen zusammen. Er hatte das Gefühl, dass es irgendetwas prophetisches hatte und dass man die Warnung ernst nehmen sollte. Es war zu spät, denn Santino war bereits losgeflogen. Nach einigen unruhigen Gedanken kam er zu dem Entschluss, dass ihm nichts anderes übrigblieb, als diese Sache loszulassen und sich auf etwas anderes zu konzentrieren, denn er konnte nichts an dem, was kommen würde, verändern.

Seine Gedanken gingen zu seiner Enttäuschung über sein Treffen mit Dr. Martin. Er musste einsehen, dass er die Meinung von einem Klinikarzt genauso wenig beeinflussen konnte wie den Entschluss seines Freundes, nach New Orleans zu fliegen.

Als er eine Zeit darüber nachdachte, hatten seine Gedanken eine andere Richtung eingeschlagen, denn er stellte sich die Frage, welchen Vorteil es für ihn hätte, wenn er seine Mutter verklagen würde. Er versetzte sich in den Verlauf einer Klage mit ihren Folgen hinein und kam zu der Überzeugung, dass er die Sache ruhen lassen sollte, weil er sich aufreiben und seine Kräfte verschwenden würde, denn es war nicht abzusehen, welches Ergebnis dabei herauskommen würde. Er erkannte, dass er seine Energie für wichtigere Dinge brauchte. Es schmerzte ihn und er empfand diese Entscheidung als eine gewisse Niederlage, doch er merkte, dass er es schaffen könnte, im Laufe der Zeit mit dieser Sache Frieden zu schließen. Er sagte zu sich: „Es sollte mir genügen, dass ich weiß, dass ich nicht psychisch krank war. Es fällt mir nicht so leicht, aber mit der Zeit wird es mir gelingen, mit dieser Entscheidung zu leben.

Ich denke, es zählt, was ich über mich glaube und nicht, was andere von mir denken.

Ich glaube, es würde mir nicht so viel wie erhofft bringen, wenn ich die Genugtuung einer schriftlichen Bescheinigung hätte, dass ich zu keinem Zeitpunkt Wahnvorstellungen hatte.“

Zudem wurde ihm klar, dass er seine Mutter nicht auf Schadensersatz in Verbindung mit Geld verklagen würde, sondern er wollte sie zwingen, öffentlich dazu zu stehen, dass sie aus persönlichen Gründen für eine Einweisung in die psychiatrische Klinik gesorgt hatte. Um dieses Eingeständnis zu untermauern hätte er die schriftliche Bestätigung der Klinik gebraucht.

Er schloss dieses Thema: „Ich habe für mich genug Beweise in der Hand, dass ich zu Unrecht eingewiesen worden war. Diese Beweise kommen aus mir, aus meiner Überzeugung, aus meiner Beobachtung und aus der Kraft meiner Kreativität.“

Er hatte nicht das Gefühl, dass es ihm leichtfallen würde, beruhigt einzuschlafen, aber er hatte einen Entschluss gefasst. In diesem Zusammenhang fasste er noch einen Entschluss: Er würde am nächsten Tag zu Adrian fahren und unangemeldet bei ihm klingeln. Er hielt es nicht mehr aus, dass er sich seit längerer Zeit nicht bei ihm gemeldet hatte und er wollte alles daran setzen, die Sache zu klären.

Nachdem er eingeschlafen war, träumte er von seiner Prophezeiung mit dem Skorpion. Er sah Santino allein in einem Flugzeug sitzen und die dunkle Wolke kam auf ihn zu. Aus dieser Wolke kroch ein etwa zwei Meter großer Skorpion hervor, der ihn versuchte, mit seinen Scheren zu erwürgen. Dann sah er, wie dieser Spuk sich von einem zum anderen Moment auflöste und wie der Skorpion sich in eine Frau verwandelte. Die Frau setzte sich neben ihn und redete mit ihm. Danach war die Frau genauso verschwunden, wie sie aus dem Skorpion hervorgekommen war, der Platz neben Santino war wieder leer.

Als er aus dem Traum erwachte, erinnerte er diesen Traum in seinen Details. Er fühlte sich beruhigt, weil die Bedrohung sich aufgelöst hatte. Es musste etwas geschehen sein, dass diese Bedrohung neutralisiert hatte. Torsten war fasziniert von der Fortsetzung seines Traums. Beim ersten Mal hatte eine Stimme zu ihm gesagt, der Skorpion sei eine Frau und beim zweiten Mal hatte er diese Frau gesehen.

+++

Als Torsten unverhofft bei Adrian klingelte, öffnete er und sagte: „Torsten, komm‘ rein und entschuldige vielmals, dass ich mich nicht gemeldet hatte. Du hast Glück, dass ich heute frei habe.“

Torsten erwiderte mit erleichtertem Blick: „Ich bin froh, dass ich dich antreffe. Ich hatte mir Gedanken gemacht, weil du das letzte Mal einfach abgehauen warst.“

Adrian erwiderte: „Entschuldige dafür, ich war ziemlich fertig mit der Welt, aber nach einer Denkpause geht es mir wieder besser. Komm rein und dann reden wir in Ruhe über alles.“

Nachdem sie es sich in Adrians Wohnzimmer gemütlich gemacht hatten, war er bereit, über seine Denkpause zu berichten: „Ich hatte mich zurückgezogen, weil ich einige Dinge verarbeiten musste. Ich war nach meinem letzten Besuch bei dir nochmal bei Santino, damit ich dieses Chaos in mir nochmal beleuchte. Dann kamen wir auf mein früheres Leben und er hatte eine Rückführung mit mir gemacht. Dabei habe ich mich an dem Ort gesehen, wo auch Kati gelebt hatte. Dieses Fragment meines früheren Lebens war an die Oberfläche gekommen, weil es an diesem Punkt einen Konflikt gab.“

Torsten unterbrach Adrians Erzählfluss: „Das finde ich interessant, bitte erzähle es mir ausführlich.“

Adrian fuhr fort: „Ich sah mich selbst wie in einem Film. Es stellte sich heraus, dass ich Adam hieß und in einem Haus einer reichen Familie arbeitete. Ich war ein Halbfarbiger, meine Mutter war Afrikanerin, mein Vater kam nicht vor. Dann sah ich Kati und den Mann, dem ihr Herz gehörte. Ich hörte seinen Namen – er hieß Juan und sah aus wie der brasilianische Typ aus Katis Lieblingsserie. Was mich quälte war der Moment, in dem ich sie sagen hörte: „Adam, ich habe mich geirrt. Ich glaubte, dich zu lieben, doch es ist Juan, dem mein Herz gehört, er hat mir das Leben gerettet und in einem Blitzmoment war es Liebe auf den ersten Blick.“ Das war ein Tiefschlag auf mein Selbstwertgefühl. Es ging dabei zwar um Kati, aber es war nicht ihre Person, die den Konflikt ausgelöst hatte, ich entdeckte, dass es die Attacke auf meinen verletzten Stolz war. Ich konnte es herausfinden, weil der Film meines früheren Lebens weitergelaufen war und ich mich mit der Frau gesehen hatte, der mein Herz gehörte, es war etwas verworren. Als ich wieder in die Realität zurückgekommen war, hatte Santino mich gefragt, ob ich die Wurzel für mein Chaos gesehen hatte. Ich überlegte kurz und dann erkannte ich, dass es dasselbe Problem war wie mit meiner Mutter: Ich wurde von einer Frau zurückgewiesen. Mein Instinkt sagte mir, dass ich die Einzelheiten nicht erwähnen, sondern sie für mich behalten sollte. Du bist übrigens der einzige, dem ich es erzähle. Ich fuhr dann nach Hause und hatte mir die Details aus meiner Erinnerung heraus aufgeschrieben, ich glaube, das war heilsam.

Nach einigen Überlegungen kam ich zu der Vermutung, dass Kati letztes Jahr nach Brasilien geflogen war, weil sie glaubte, dass sie den Mann aus ihrem früheren Leben dort wiederfinden würde. Sie hatte mir vor längerer Zeit mal etwas von ihrem früheren Leben erzählt, ich weiß nicht mehr, was es war. Das war der Stand der Dinge an dem Tag nach der Rückführung. Dann habe ich die nächste Zeit nachgedacht und in mich hineingehorcht und mir wurde Stück für Stück klar, dass ich wegen meiner afrikanischen Mutter eine Schwäche für farbige Frauen entwickelt habe. Ich fühlte mich von meiner Ex-Frau Flavia angezogen und wurde enttäuscht, du kennst die Hintergründe. Als mir die Parallele zwischen Kati und mir bewusst wurde, konnte ich das Gefühl der Verletzung zwischen uns loslassen, weil ich mich nicht von ihr persönlich, sondern unbewusst von dem Erlebnis aus dem früheren Leben und von meiner Mutter verletzt fühlte. Ich merkte, dass Kati genauso wie ich mit dem früheren Leben verwurzelt war und dass sie wahrscheinlich bis ans Ende der Welt reisen oder auf den Mond fliegen würde, um ihre frühere Liebe wiederzufinden. Dann dachte ich mir, wenn sie ihn in Brasilien gefunden hätte, dann wäre sie nicht zurückgekehrt. Wie ich sie einschätze wäre sie dortgeblieben, um mit ihm ein neues Leben anzufangen. Sie ist zurückgekommen, weil sie ihn nicht gefunden hatte und weil sie ihre Suche aufgegeben hat. In dem Moment tat sie mir leid und ich dachte bei mir, dass wir mit diesen Sehnsüchten beide kein Glück hatten, Flavia war eine Enttäuschung und Kati jagte einem Phantom hinterher.“

Torsten sah ihn erstaunt an: „Dieser Juan sah aus wie Benny aus der Serie? Das haut mich echt um.“

Adrian erwiderte mit angespanntem Blick: „Der war mir als Vergleich eingefallen, weil Kati mir erzählt hatte, dass sie diesen Männertyp aus ihrer Lieblingsserie interessant finden würde. Juan war ein Typ mit dunkler Haut, ein südamerikanischer Typ, genaue Details konnte ich nicht erkennen.

Santino war der Meinung, dass es gut für mich wäre, wenn ich die Vergangenheit hinter mich lassen würde, um mich neu zu orientieren. Er hatte mir erzählt, dass er innerhalb der nächsten Tage nach Rio fliegen will, um sich seinen Schatten der Vergangenheit zu stellen.

Das hat mich inspiriert und ich dachte mir, ich sollte diesem Beispiel folgen. Ich weiß noch nicht, wohin mein Weg mich führen wird, aber eine neue Richtung wird es sein. Torsten, du bist ebenfalls ein Vorbild für mich: Du hattest den Mut, das Büro Schlüter anzurufen und hattest Glück, dass sie dir eine zweite Chance geben. Ich sage mir nun, was andere schaffen, das kann ich auch.“


 

Kapitel vier

 

Kati stand mit ihrem Portugiesisch Wörterbuch in der Halle des Flughafens und versuchte, sich die richtigen Worte zusammenzusuchen, um nach dem Verbleib des Flugzeugs aus New Orleans zu fragen. Sie ahnte, dass dieser Flug mit Verspätung in Rio ankommen würde, doch sie wollte sich vergewissern. Während sie nervös im Wörterbuch blätterte, kam eine Frau auf sie zu: „Entschuldigen Sie, dass ich Sie anspreche. Sie wirkten nervös und ich sah Ihr Deutsch-Portugiesisch Wörterbuch. Ich bin Deutsche, kann ich Ihnen weiterhelfen?“

Kati sah die Frau erleichtert an: „Sie schickt der Himmel. Könnten Sie am Schalter nachfragen, ob der Flug aus New Orleans verspätet hier ankommen soll?“

Sie sah Kati mit einem Lächeln an: „Ja, das mache ich gern.“

Die Frau kam mit der Information zurück, dass der Flug aus New Orleans mit zwei Stunden Verspätung ankommen würde. Sie wartete auf einen Flug aus Sao Paulo, der ebenfalls verspätet war und so lud sie Kati auf ein Glas Wein ins Flughafenrestaurant ein.

Sie hatte sich als Myriam Feldhusen vorgestellt und erzählte, dass sie ihre Freundin aus Sao Paulo abholen wollte.

Kati hatte die Einladung dankend angenommen: „Das freut mich sehr, denn allein hätte ich bestimmt mehr Schwierigkeiten mit dieser Situation gehabt. Mein Freund hatte in New Orleans etwas zu erledigen und ich bin aufgeregt, ob ihm sein Vorhaben gelungen ist. Wir sind im Urlaub hier.“

Myriam sah sie interessiert an: „Rio ist eine interessante Stadt, das muss ich zugeben. Ich komme beruflich viel herum. Es interessiert mich, was Sie und Ihren Freund hergeführt hat, mein Gefühl sagt mir, es ist mehr als nur ein Erholungsurlaub.“

Kati erwiderte: „Das stimmt, ich habe noch einen anderen Freund hier getroffen, dem wir bei einer Sache helfen. Er wollte eigentlich mit mir hier sein, aber musste kurzfristig absagen, weil er Kreislaufprobleme bekommen hatte. Irgendwie hat das Schicksal mich dann zu Ihnen geführt. Darf ich fragen, was Sie beruflich machen?“

Myriam antwortete mit einem Lächeln: „Sie sind mir sympathisch und ich erzähle es Ihnen gern. Ich bin Galeristin und ich habe mich im Laufe der Jahre vergrößert. Ich arbeite mit verschiedenen Künstlern zusammen und fördere neue Talente.“

Kati sah sie fasziniert an: „Also hat Sie wirklich der Himmel geschickt; denn ich bin ein neues Talent. Ich habe einige Bilder gemalt, aber war noch nie an die Öffentlichkeit damit gegangen. Wenn Sie an meinen Bildern interessiert wären, wäre ich erfreut.“

Myriam sah sie fasziniert an: „Das trifft sich gut, denn ich habe gerade einige Kapazitäten frei. Sie dachten es sich bestimmt schon, dass ich meinen Hauptsitz in Deutschland habe, es liegt ja auch nahe. Meine größte Galerie befindet sich in Frankfurt. Allerdings habe ich dort jemanden, der sich um die Belange kümmert, denn ich bin selten dort vor Ort. Sie können mir gerne Fotos von Ihren Werken zukommen lassen. Nennen Sie mich Myriam und ich finde ein ‚du’ persönlicher. Ich gebe dir meine Visitenkarte.“

Kati sagte begeistert: „Danke, das finde ich gut. Ich glaube an die Wege des Schicksals. Dazu fällt mir ein Bild ein mit dem Titel „geheimnisvolle Wege des Schicksals“ von Ronald Harvey, Künstlername Ron Hierophant – kennst du ihn?“

Myriam erwiderte begeistert: „Nein, den kenne ich nicht, irgendwie muss ich ihn verpasst haben, denn ich kenne weltweit viele Künstler. Vielleicht sind es zu viele, so dass manchmal ein Interessanter untergeht. Ich sehe mir das Bild mal im Internet an, der Titel ist inspirierend. Mit welchen Titeln hast du gearbeitet?“

Kati sah sie mit gesenktem Blick an: „Ich muss gestehen, dass die Bilder nicht mit Titeln versehen sind. Ich stehe ehrlich gesagt noch am Anfang mit meiner Kunst, aber ich hatte einen Traum von Ron, als ich letztes Jahr hier in Rio gewesen war. Dass ich dieses Jahr auf dich getroffen bin, das zeigt mir, dass ich den Weg des Künstlers weiterverfolgen sollte, das Schicksal weist mir den Weg. Myriam, ich freue mich, dich kennengelernt zu haben und bitte bleibe mit mir in Kontakt, ich sende dir Fotos sobald ich wieder in Deutschland bin.“

Sie verabschiedete sich von Kati mit den Worten: „Dein Flug ist gerade ausgerufen worden; ich habe gehört, dass eine Durchsage kam, die Maschine aus New Orleans ist gelandet. Grüße deinen Freund unbekannterweise von mir und sende mir eine E-Mail oder SMS, du hast meine Visitenkarte. Ich gehe in die andere Richtung und hoffe, dass der Flieger aus Sao Paulo in Kürze eintrifft. Mache es gut – wir hören voneinander.“

Fasziniert von dieser neuen Bekanntschaft ging Kati zurück in die Ankunftshalle der Fluggäste und konnte es kaum erwarten, Santino wiederzusehen.

+++

Kati und Santino saßen im Taxi zum Hotel. Sie fühlte sich euphorisiert und hätte ihm am liebsten sofort von ihrer Begegnung mit Myriam berichtet, doch sie spürte, dass er etwas im Flugzeug erlebt haben musste, was ihn an seine Grenzen gebracht hatte, denn er hatte Furcht in seinen Augen, die er zu verbergen versuchte. Kati rettete die Situation mit den Worten: „Wir machen uns einen aufregenden Abend“. Du wirst sehen, es wird so schön, wie schon lange nicht mehr.“

Dann sah sie ihn lächelnd an: „Ich kann es kaum erwarten, von deinen leidenschaftlichen Verführungskünsten verzaubert zu werden. Bitte erzähle mir vorher, wie es war und was du erlebt hast; ich bin gespannt.“


 

Kapitel fünf

 

Nachdem er Kati von seinem Erlebnis in New Orleans erzählt hatte, erwiderte sie zögernd mit einem betroffenen Blick: „Oh Mann, da weiß ich gar nicht, was ich sagen soll. Du hast es so lebhaft erzählt, dass mir der Atem stockte. Ich freue mich für dich, dass du nach einem so langen Kampf mit dir, deine Mutter auf der anderen Seite gesehen hast. Das mit dem Brief ist ein Rätsel; vielleicht gehört es zu den Dingen, die im Verborgenen bleiben sollen, oder die Antwort kommt aus einer Quelle, die du dir im Moment nicht vorstellen kannst. Ich bin beeindruckt, dass Torsten die Gabe der Voraussicht hatte. Er hatte die dunkle Wolke und den Skorpion gesehen.“

Santino war froh, wieder zurück zu sein: „Ich fühle mich glücklich, an deiner Seite zu sein und das, was du gesagt hat, das tut mir gut. Jetzt möchte ich mich einfach unserer Zweisamkeit hingeben.“

Kati sah ihn mit einem verzehrenden Blick an: „Ich möchte mich fallenlassen und mich dir hingeben; lass uns nicht mehr reden.“

Sie sah in seine Augen und wusste in diesem Moment, dass sie dem ‚Schattenengel‘, der dunklen Seite begegnete. Er sah sie mit funkensprühenden Augen an und hatte sie am Arm gepackt. Kati sagte zu sich: „Dieses Mal werde ich keinen Blackout haben“. Sie war verunsichert, doch dann sagte sie laut: „Rede mit mir. Ich erkenne dich, doch ich habe dich nicht verraten.“

Er sagte nichts und sie merkte, dass er nicht bereit war, mit ihr zu reden. Sie spürte, dass sie nicht in der Lage war, sich ihm zu entziehen. Sie kämpfte mit ihm, jedoch nicht gegen ihn und sie fühlte, dass er ihre Liebe und ihre Leidenschaft hatte und dass es dieses gespaltene Gefühl war, dem sie sich hingeben musste, weil sie nicht anders konnte. Sie sagte noch einmal leise zu ihm: „Ich kann dir nicht widerstehen, doch ich wünschte, du würdest etwas sagen.“

Nach einer Zeit der Hingabe war sie in einen vorübergehenden Zustand einer Erinnerungslücke geraten, doch dann merkte sie, dass sie es nicht länger zulassen wollte und nahm den Kampf wieder auf. Sie packte ihn am Arm und sagte: „Du bist stärker als ich, doch ich bin nicht schwach“. Da er versuchte, sich loszureißen, nahm sie ihre ganze Kraft zusammen und hielt ihm am Arm fest. Sie umklammerte seinen Arm so lange, bis er sich losgerissen hatte und einfach wortlos gegangen war.

Kati erschrak, als sie sah, dass sie ihn so kräftig festgehalten hatte, dass sich ihre Fingernägel in sein Fleisch hineingebohrt hatten; ihre Hand war blutig. Sie saß erschöpft auf dem Bett und fühlte sich verwirrt. Sie hatte jegliche Einschätzung für Zeit und Raum verloren.

Nach einer gefühlten Ewigkeit kam Santino in ihr Zimmer zurück: „Ich habe eine Erinnerungslücke, was war geschehen, mein Arm ist blutig.“

Kati improvisierte zögernd: „Oh, das war etwas Leidenschaftliches zwischen dir und mir, das habe ich aber erst hinterher bemerkt.“

Er sah sie fasziniert an: „Wow, das haut mich irgendwie um. Ich kann es nicht erklären, aber ich habe endlich den Mut gefasst, dir etwas zu sagen. Ich weiß nicht, ob das richtig ist, aber es ist mir egal, ich kann nicht anders: Das, was ich dir im Restaurant über den Film erzählt hatte, das war ich mit meiner vergangenen Liebe Ute, und ich möchte es nicht länger verbergen.“

Kati blickte ihn skeptisch an: „Bist du sicher, dass es richtig ist, wenn du es mir erzählst, ich habe Angst, dass es falsch sein könnte. Ich kenne diesen Teil von dir, und er hat mir gesagt, dass ich ihn nicht verraten darf. Ich möchte nicht, dass etwas geschieht, was für uns beide ungeahnte Folgen haben könnte.“

Er blickte sie verwirrt und erschrocken an: „Oh nein, das macht mir Angst; ich weiß jetzt nicht, was richtig ist, das ist für mich unvorstellbar …..“

Kati rettete die Situation: „Denk‘ drüber nach und überstürze es nicht. Lass‘ es im Moment sein und denke daran, dass du einen Schritt weiter gekommen bist mit deinem wunden Punkt. Es ist im Moment wichtiger als alles andere.“

Bevor Santino etwas erwidern konnte, sagte Kati: „Sorry für die Unterbrechung, ich habe meinen SMS—Ton gehört und mein Gefühl sagt mir, dass es etwas Dringendes ist.“

Sie hatte eine SMS von Patrick erhalten: „Kati, es tut mir leid, dass ich so spät störe, es ist etwas Unvorhergesehenes geschehen. Ich hoffe, dass Santino aus New Orleans zurück ist. Es wäre toll, wenn ihr beide morgen früh kommen könntet, es ist zu lang für SMS, ich brauche eure Unterstützung – bitte melde dich kurz ob es klappt.“

Kati sah ihn betroffen an: „Die Lage ist ernst, das lese ich zwischen den Zeilen heraus. Wir sollten da morgen früh hinfahren. Wir können froh darüber sein, dass Patrick mich genauso loslassen konnte, wie ich ihn und er wird sich freuen, dich endlich kennenzulernen. Wir werden es hinbekommen, egal um was es sich handelt.“

+++

Nachdem Santino und Kati gerade das Tor des Ravez-Familienbesitzes hinter sich geschlossen hatten, kam Patrick aufgeregt auf sie zugelaufen. Er umarmte beide stürmisch und sagte mit hektischem Ton: „Santino, ich freue mich, dich kennenzulernen und schön, dass ihr da seid. Es ist etwas Unglaubliches passiert. Gestern Morgen sah ich unter Sergias Bett und konnte nicht fassen, was ich sah. Von den neun Ketten des magischen Auges lagen nur noch fünf unter dem Bett. Ich fand es unheimlich und bekam Angst. Einen Augenblick später ging ich in das Zimmer ihrer Schwester und da lagen die anderen vier auf ihrem Bett. Kati, das war das Bett, in dem du geschlafen hattest. Das war aber noch nicht alles, Carlos hatte einen Anruf aus dem Heim bekommen, dass Paulinha nach all den Jahren etwas gesagt haben soll. Eine Betreuerin sagte ihm, dass es Hoffnung geben könnte, dass sie ins Leben zurückfindet. Es war passiert, nachdem die vier Amulette auf ihrem Bett gelegen hatten. Carlos und Maria sind bei Paulinha im Heim, ich bin allein hier. Kommt bitte rein, dann reden wir in Ruhe über alles.“

Kati und Santino blickten sich überrascht an, sie konnten es ebenfalls nur schwer glauben, was Patrick soeben erzählt hatte.

Patrick war noch immer aufgeregt: „Hat jemand von euch eine Erklärung dafür? Ich bin zerrissen, weil es mich auf der einen Seite fasziniert und auf der anderen Seite Angst macht.“

Santino sah ihn ratlos an: „Mir stecken noch die Erlebnisse in meinem Elternhaus und vom Rückflug in den Knochen, aber ich glaube, es wäre das Beste, wenn ich mir die Zimmer einmal ansehe; ich bin ja noch nie dort gewesen.“

Als sie nach oben kamen, bekam Santino weiche Knie und ihm wurde schwindlig. Mit aller Kraft hielt er sich am Treppengeländer fest und rief panisch: „Der Skorpion will mich umbringen!“ Er nahm seine Kraft zusammen und ging die Treppe wieder hinunter. Kati sah Patrick mit ängstlichem Gesicht an: „Ich kann es mir nicht erklären, es macht mir Angst.“

Dann gingen sie wieder nach unten; Santino saß in der Küche und schnappte nach Luft. Kati nahm ihn an die Hand: „Komm‘ wir gehen nach draußen, es ist hier nicht gut für dich.“

Nachdem sie in den Garten gegangen waren, ging es ihm etwas besser. Patrick war ihnen gefolgt: „Es tut mir leid, dass das passiert ist, ich konnte es nicht ahnen.“

Kati sah ihn betroffen an: „Nein, konnte niemand. Wir sollten erstmal hier draußen bleiben und uns überlegen, wie wir weiter vorgehen.“

Santino hatte sich wieder beruhigt: „Ich habe den Skorpion, der mich aus einer schwarzen Wolke herauskommend im Flugzeug angegriffen hatte, gesehen. Er kam aus dem Zimmer direkt auf mich zu und versuchte, mich ein zweites Mal zu erwürgen. Ich habe den Beweis, dass er mit diesem Haus im Zusammenhang steht und dass er nicht davor zurückschreckt, mich in Anwesenheit von euch anzugreifen.“

Nachdem sie sich über diesen Vorfall ausgetauscht hatten, waren sie übereingekommen, dass sie warten wollten, bis Carlos und Maria aus dem Wohnheim von Carlos Tochter zurückgekehrt waren und dann gemeinsam besprechen, was in dieser Situation das Beste für alle sei. Santino war der Meinung, dass es am Wichtigsten war, keine Angst zu haben und sich gegenseitig zu unterstützen. Er und Kati hatten sich bereit erklärt, zum Schutz aller Beteiligten in Paulinhas Zimmer über Nacht zu bleiben. Patrick war darüber erleichtert, denn er hatte nach diesen Ereignissen Angst, allein in diesem Stockwerk zu bleiben.

 


 

Kapitel sechs

 

Es war spät geworden, Santino und Kati hatten Patrick eine gute Nacht gewünscht und ihm angeboten, dass er sich bei ihnen melden sollte, wenn er Angst bekommen sollte oder falls sich in Sergias Zimmer etwas Ungewöhnliches ereignen sollte. Er war ihnen dankbar, dass sie sich bereit erklärt hatten, aufgrund seiner SMS zu kommen und auch im Haus zu bleiben.

Als sie allein im Zimmer waren sagte Kati: „Jetzt kennst du das Zimmer, aus dem ich dir die vielen SMS geschickt hatte. Das Bett ist eigentlich zu klein für zwei Personen, aber ich finde es aufregend und abenteuerlich. Mit dir zusammen habe ich hier keine Angst, weil du der beste Beschützer bist, den ich mir vorstellen kann.“

Santino erwiderte mit skeptischem Unterton: „Ich bin im Moment derjenige, der Angst hat, schon wegen des Skorpion-Erlebnisses. Ich bin es, der im Moment einen Beschützer braucht, das muss ich ehrlich zugeben. Aber in deiner Nähe ist meine Angst schon weniger geworden.“

Kati sah ihn beruhigend an: „Ich glaube, weil die vier Amulette, die vorher in Sergias Zimmer waren, unter dem Bett liegen, haben wir einen zusätzlichen Schutz. Wir konzentrieren uns auf die lichtvollen Kräfte darin und du könntest die geistige Kraft deines Vaters zusätzlich aktivieren mit deinen schamanischen Fähigkeiten.

Aber mal was anderes: Ich habe am Flughafen eine interessante Frau aus Deutschland kennengelernt. Dazu muss ich dir etwas sagen, was durch zu viele Ereignisse in den Hintergrund geraten war. Ich bin nebenbei künstlerisch tätig und habe einige Bilder gemalt. Ich habe sie bisher noch nicht der Öffentlichkeit gezeigt, aber das mit dieser Frau war ein Wink des Schicksals. Sie ist Galeristin und fördert neue Talente. Sie hat ihre Hauptgalerie in Frankfurt und sie wäre an meinen Werken interessiert. Wie klingt das für dich?“

Santino sah sie mit erschrockenem Blick an: „Es könnte auch für mich ein Wink des Schicksals sein, aber kein so positiver. Ich wurde gerade an Ute erinnert, sie ist Galeristin und hatte sich damals gerade in diesem Beruf selbständig gemacht. Ich würde mich nicht wundern, wenn deine neue Bekanntschaft Ute kennt.“

Kati erwiderte mit gelassenem Tonfall: „Falls ja, könntest du die Gelegenheit nutzen, mit Ute Frieden zu schließen, so wie ich es mit Patrick getan habe. Sie heißt Myriam Feldhusen und ist auf dem Kunstsektor nach eigenen Aussagen recht bekannt.“

Als er den Namen hörte, erschrak er: „Das ist sie. Sie heißt Ute Myriam Feldhusen und offensichtlich hat sie ihren ersten Namen abgelegt. Mein Gefühl sagt mir, dass sie sich von der Vergangenheit lösen wollte und deshalb den Namen Ute nicht mehr benutzt.“

Kati sah ihn erstaunt an: „Mein Gott, das haut mich echt um, denn habe ich deine Ex-Freundin kennengelernt. Ich weiß nicht, vielleicht sollte ich mich nicht bei ihr melden und Fotos von meinen Bildern senden. Das hat mich gerade echt erschreckt.“

Santino beruhigte sie: „Doch, mach‘ das ruhig. Ich habe damit kein Problem. Ich habe mich im ersten Moment erschrocken, aber dann wurde mir klar, dass du recht hattest. Es ist ein Wink des Schicksals und ich nutze die Gelegenheit. Damit meine ich, wenn du wegen deiner Bilder mit ihr in Kontakt getreten bist, dann werde ich einen Versuch machen, mit ihr und der Vergangenheit Frieden zu schließen. Wir waren damals in Unfrieden auseinandergegangen und sie hatte mir bittere Vorwürfe gemacht. Sie hatte vor, mich wegen schwerer Körperverletzung anzuzeigen und dann hatte sie im letzten Moment einen Rückzieher gemacht und gesagt, sie wolle mir meine berufliche Zukunft nicht kaputt machen. Jetzt habe ich da angesetzt, wo ich aufgehört habe. Ich glaube, ich muss es dir sagen, und wir sollten die letzten Geheimnisse einfach fallen lassen.“

Kati sah ihn verunsichert an: „Ich hoffe, dass wir in dieser Hinsicht das Richtige tun. Gestern hatten wir zögernd begonnen darüber zu reden und dann kam die SMS von Patrick dazwischen. Mir ist etwas dazu eingefallen und ich habe das Gefühl, dass du es nicht von dieser Perspektive gesehen hast. Wenn ich es dir jetzt sage, dann versuche, in dich hineinzuhorchen und dir selbst gegenüber ehrlich zu sein. Du hast mir gegenüber gezögert, sexuelle Wünsche zu äußern. Ich habe das meiste instinktiv herausbekommen und manches ist mir noch ein Rätsel. Du bist im Gegensatz dazu mir gegenüber kreativ und außerordentlich leidenschaftlich. Ich kann es nicht so leicht in Worte fassen, weil es nicht greifbar ist. Aber mein Gefühl sagt mir, dass es zwischen Ute und dir auf diesem Gebiet ein extremes Ungleichgewicht gegeben hatte. Ich komme darauf, dass es möglich wäre, dass sie auf ihre Art dafür gesorgt haben könnte, dass deine Schattenseite bei ihr zu einem Extrem wurde.“

Er antwortete zögernd: „Das ist erstaunlich, wie du diesen wunden Punkt an die Oberfläche geholt hast. Es war extrem und ich wollte es nicht wahrhaben. Ich glaube, unbewusst existiert dieses Muster noch bei mir. Sie hatte mehr oder weniger verlangt und gefordert, so auf ihre Art, dass ich ihr alle Wünsche erfülle. Damit meine ich sexuelle Vorlieben und Bedürfnisse in allen Lebensbereichen. Ich hatte am Anfang unserer Beziehung kein Problem damit, ihr zu sagen, was ich mir von ihr wünsche. Sie hat meine Wünsche geschickt ignoriert. Wenn ich sie darauf angesprochen hatte, dann fand sie intelligente Entschuldigungen und Ausreden. Wenn ich ehrlich mir selbst gegenüber bin, dann muss ich zugeben, dass ich resigniert hatte und dass ich meine Bedürfnisse im Laufe der Zeit zunehmend unterdrückt hatte.“

Kati sah ihn betroffen an: „Wenn ich das ganze Puzzle zwischen dir und Ute zusammensetze, dann sehe ich so einen Film vor mir, dass du sie auf kreative Art und Weise immer wieder darauf gebracht hast, was du dir von ihr wünscht. Ich sage es mal ganz offen, wir haben in sexuellen Dingen nie geredet, es waren so wortlose Übereinkünfte, weil wir beide intuitiv sind. Ich habe bemerkt, dass es bei dir einige außergewöhnliche sexuelle Vorlieben gibt und manchmal ist mir noch ein Rätsel, auf welche wundersame Weise ich sie wortlos erfassen konnte, aber dieser Zusammenhang brachte mich auf meine Vermutung. Ich wünschte, ich könnte dir irgendwie helfen, damit klarzukommen, es zu verarbeiten.“

Santino sah sie erleichtert an: „Du bist gerade dabei und ich bin froh darüber. Mir wird gerade klar, dass Ute es soweit provoziert hatte, dass ich dann gewisse Vorlieben von mir selbst auf ein Extrem hochgebracht hatte, es umgedreht hatte und an ihr ausgelebt hatte. Ich würde sagen, es war eine unbewusste Rache, ohne dass ich so eine Mentalität besitze und diese ‚Rache‘ hat diesen extremen Schattenanteil in mir ins Leben gerufen.“

Kati erwiderte mitfühlend: „Dass ich Ute auf dem Weg über ein Kunstinteresse kennengelernt habe, das könnte eine Chance für dich sein, nach langer Zeit mit ihr zu reden. Ich glaube, sie sollte mit dir Frieden schließen. Sie war es, die dir Unrecht getan hatte und nicht umgekehrt. Ich kann es nicht alles klar erkennen, aber es fühlt sich für mich so an. Ich habe soeben einen geistigen Film vor mir gesehen, wie ihr frisch verliebt gewesen wart. Sie dachte, weil du ihr das Leben gerettet hattest, könnte sie alles von dir haben. Dabei hatte sie Tatsachen verdreht. Sie hatte sich zu einem Energiesauger dir gegenüber entwickelt und sie wollte alles von dir haben aber war selbst unfähig, dir etwas zu geben. Das finde ich traurig und wenn ich sie nicht als sympathische Frau kennengelernt hätte, dann wäre ich unter diesen Umständen wohl sauer auf sie. Doch ich weiß, dass es keine Schuldigen oder Unschuldigen gibt, sondern dass es alles zusammenhängt und wenn man das universelle Gesetz von Ursache und Wirkung neutral betrachtet, dann war es eine schicksalhafte Verkettung.“

Er sah sie verwirrt an und zögerte mit einer Antwort: „Ich weiß nicht so ganz. Vielleicht stürzt im Moment sehr viel auf mich ein. Ich spüre, dass ich Angst habe, etwas falsch zu machen.“

Kati nahm ihn in den Arm und sah ihn entschlossen an: „In meiner Gegenwart brauchst du vor gar nichts Angst zu haben. Ich habe dich von Anfang an wortlos geliebt und verstanden und das bleibt auch so. Der Schattenengel, wie ich ihn genannt habe, ist ein Teil von dir, dem ich beim ersten Mal begegnet bin, er zeigte sich mir sofort. Ihm habe ich meine Liebe und Leidenschaft gegeben und das gespaltene, das zerstörerische und brutale in ihm, das habe ich als Mysticos dunkle Seite angenommen. Ich hatte es dir ausführlich erzählt. Ich weiß, dass dieser Teil ein Eigenleben führt und dass er zu mir zurückkommen wird. Wenn er nicht zurückkehren würde, dann würde ich ihn vermissen, weil er auch eine unerklärliche Kraft besitzt. Ich habe mit diesem Schattenengel gekämpft, aber nicht gegen ihn, das ist ein Unterschied. Er vertraut mir, weil ich ihm zeige, dass ich ihm vertraue. Wir können das so sein lassen, wie es jetzt ist, alles andere wird die Zeit zeigen.

Wenn du Angst hast, dass der Skorpion wiederkommen wird, dann vertraue darauf, dass es ihm nicht gelingt, dich zu verletzten, denn er ist auf einer Ebene, die nicht real ist.“

 

 

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